Kunst ist eine Gefühlsäußerung

gauguinKunst entzieht sich der Logik, man muss sie fühlen. Ein Bild gefällt oder gefällt nicht, so einfach kann das sein.

Charles Strickland ist ein Getriebener, er muss malen. Sein einziges Ziel ist es, in seinem Leben Schönheit zu schaffen. In seinem Brotberuf – er ist Börsenmakler – wird das nicht gelingen, deshalb packt er kurz entschlossen seine Koffer, wickelt die Beteiligung an seiner Firma ab, verlässt Frau und Kinder und reist ab.

Paris – die Stadt der Liebe und der Kunst, dorthin zieht es ihn und dorthin reist auch der namenlose Schriftsteller, der Charles Strickland erst vor kurzem persönlich kennengelernt hat. Stricklands Frau bittet ihn inständig, ihren Gatten zur Vernunft und zurück zu bringen. Doch ohne Erfolg, denn Strickland zeigt seinen wahren Charakter. Er hat sich aller Verpflichtungen entledigt und folgt seinem inneren Drang zu malen. Schäbig ist das Hotel, in dem er wohnt, doch Äußerlichkeiten kümmern ihn schon lange nicht mehr. Seine Bilder verkauft er nicht, es will sie auch niemand wirklich haben. Einzig der überaus menschenfreundliche Holländer Stroeve erkennt das wahre Genie in Stricklands Kunst. So menschenfreundlich Stroeve Strickland begegnet, so menschenverachtend zahlt es ihm Strickland heim …

Retrospektiv entrollt W. Somerset Maugham das Lebens-Tableau des Charles Strickland vor den Augen der Leser. Als Vorbild für seinen Protagonisten diente ihm die schillernde Biographie Paul Gauguins, dem es wie vielen Malern erging – erst nach seinem Tod wurde seine Einzigartigkeit erkannt und die Preise für seine Bilder erreichten schwindelnde Höhen.

1919 erschien Silbermond und Kupfermünze im Original – vor bald hundert Jahren. Aktuell ist es dennoch, zeigt es doch ein komplettes Psychogramm des getriebenen Künstlers, der es nicht schafft, vielleicht auch nicht schaffen möchte, Kunst und Leben miteinander zu vereinbaren. Strickland schafft es zumindest zum Schluss – oder sagen wir, er kann sich des sanften Zwanges nicht erwehren, der ihn teilweise zum Familienmenschen macht. Auch heute ist die Unvereinbarkeit von Kunst und Familie, zurückgezogenem Schaffen und gesellschaftlicher Zugewandheit sicherlich ein Thema. W. Somerset Maughams Erzähler selbst ist zwar kein Einsiedler, aber trotzdem ohne Familie, hat er sich doch immer auf seinen ureigensten Weg begeben und ist somit ebenso ein Künstler, der im Zwiespalt lebt.

Dass ein Meistererzähler wie W. Somerset-Maugham auf höchstem stilistischen und sprachlichen Niveau schreibt, bedarf zwar eigentlich keiner Erwähnung. soll aber trotzdem wegen seiner unnachahmlichen Pointierung diese erfahren. Punktgenau formulierte Beobachtungen der damaligen Gesellschaft – die man zum Teil auch heute noch vornehmen kann – bereiten die größte Leselust. Das Männer- bzw. Frauenbild mag hinterfragbar sein, doch ist es sicher nicht frei von Ironie und entlockt den ein oder anderen von Herzen kommenden Lacher.

Solch schriftstellerisches Können wird vor allem durch eine meisterliche Übersetzung erkennbar. Und die Neuauflage des 1973 bei Diogenes zum ersten Mal erschienen Künstlerromanes ist eine solche. Deshalb lohnt es sich auch dann, diese Neuauflage anzuschaffen, wenn bereits eine ältere Ausgabe ihren Platz im heimischen Regal gefunden hat, wie in meinem Fall.

Ein Klassiker, an dem man nicht vorbeikommt, wenn man geschliffene Sprache und präzise Beobachtungsgabe liebt, denn:

„Kunst ist eine Gefühlsäußerung, und Gefühl spricht eine Sprache, die jedermann verstehen kann.“

Das Buch sollte der Buchhändler des Vertrauens vorrätig und ihr bald in eurem Regal stehen haben. Lasst euch entführen in die Welt der Kunst, der Schönheit und des Gefühls – gerade wenn es in der wahren Welt vor alternativen Fakten nur so wimmelt.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 01, Januar 2013
  • Verlag : Diogenes
  • ISBN: 978-3-257-20087-4
  • Taschenbuch: 224 Seiten

12 Gedanken zu “Kunst ist eine Gefühlsäußerung

  1. Musst Du ja auch nicht 😉 Vielleicht guckst Du Dir einfach ein paar Gauguins an und lässt das Buch ruhen ,) Es gibt so viele andere …

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  2. Rationell kann ich das gar nicht beantworten. Gefühlsmäßig funktionierte der Roman bei mir halt nicht, weil’s ständig durcheinander ging: mal Gaugin, mal Strickland, mal biografische Parallele, mal reine Fiktion … Aus irgendeinem Grund war mir das zu anstrengend 🙂

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  3. Das war mein erstes Buch von Maugham! Mein Interesse war geweckt und über die Jahre sammelte ich Romane und Erzählungen, las immer wieder und war jedesmal aufs Neue begeistert. Sein großer Roman „Der Menschen Hörigkeit“ gehört zu meinen persönlichen Lieblingsbüchern!

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  4. Ne, ne, bin auch ein Gaugin-Fan. Bin mir selbst nicht sicher. Vielleicht störte mich eher dieses Nichts-halbes-und-nichts-Ganzes dabei. Warum nicht gleich einen Roman über Gaugin schreiben und nicht über einen Mr. Strickland??

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  5. Ich liebe Gauguin – vielleicht hat das damit zu tun, dass mich der Punkt, der dich stört, nicht stört.LG, hoffe das Wiedersehen macht Freude.

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  6. Maugham ist nach wie vor einer meiner Liebsten. Aber gerade „Silbermond und Kupfermünze“ vermochte mich am wenigsten zu überzeugen – vielleicht gerade weil Gaugin den fiktiven Charakter, wie soll ich sagen, überstrahlt. Da gefiel mir z.B. „Auf Messers Schneide“ um Meilen besser. Aber Dein schöner Text hat mir jetzt doch Lust gemacht auf ein Wiederlesen – dafür meinen herzlichen Dank!

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