Was wäre wenn …

harry-potter-harry-potter-und-das-verwunschene-kind-teil-eins-und-zwei-special-rehearsal-edition-scriptViele Erwartungen wurden geschürt, als ruchbar wurde, dass es einen weiteren Harry Potter Band geben solle. Schon alleine die Bezeichnung Harry Potter 8 allerdings ist meiner Meinung nach falsch, denn obwohl wir viele der Protagonisten wiedersehen, fällt das Theaterstück, das von J.K. Rowling, John Tiffany und Jack Thorne geschrieben wurde, aus der üblichen Potter Serie heraus. Tatsächlich deshalb, weil die Geschichte um das verwunschene Kind als Theaterstück konzipiert ist. Darauf muss man sich einlassen können und wollen. Und dieses Universum aus eigener Imagination ergänzen. Geistige Mitarbeit ist Voraussetzung und die Kenntnis der vorherigen Bände Pflicht. Natürlich ist es in gewissem Maße eine Fortsetzung … aber mehr noch ist die Geschichte ein Spiel der Möglichkeiten.

Wir sind beide mehr oder weniger HP Fans, die sowohl die Geschichte, das Epos in schriftlicher als auch in filmischer Version seit ihrem Beginn bis jetzt goutieren. Doch  was den HP Hype ausmacht, der dazu führte, dass Menschen vor der Premiere des letzten Filmes tagelang auf dem Trafalgar Square ausharrten, um einen Blick auf die Schöpferin dieses wunderbaren Universums und die Darsteller ihrer geliebten Figuren zu erhaschen übersteigt auch für uns das normale Verständnis von Zuneigung. Wie muss es sein, wenn man im Mittelpunkt dieser Aufmerksamkeit steht. Einer der Darsteller, Tom Felton, der den doch für viele Leser unsympathischen Draco Malfoy verkörperte, hat sich in realitas so viele Gedanken darüber gemacht, dass seine erste eigene Regiearbeit – nachdem er 10 Jahre seines Lebens eine der wichtigsten HP Figuren auf der Leinwand gegeben hatte – das Thema Superfans aufgriff. Er selbst hat solch einen Superfan und wollte einfach dahinter kommen, was Menschen antreibt, die sich so sehr mit den fiktiven Figuren und vor allem mit den realen Darstellern identifizieren, dass sie deren Leben bis ins kleinste Detail verfolgen. Sicher, es ist interessant, den Menschen hinter der Rolle zu entdecken – und vor allem bei den zu Beginn der Filmreihe ganz jungen Darstellern ist die Gefahr, sie im wahren Leben mit ihren Rollen gleichzusetzen wohl größer, als bei den „gestandenen“ Schauspielern, die bereits andere Seiten ihres Könnens gezeigt haben. Was die Serie durchaus klug, einfühlsam und sehr menschlich ans Licht brachte war eines: Jeder Mensch will irgendwo dazu gehören – und HP bot sogar die Gelegenheit, mit den Hauptfiguren zu wachsen. Viele Fans sind im wahrsten Sinn des Wortes mit diesen Geschichten groß geworden.

Ein Grund dafür ist sicherlich folgender: J. K. Rowlings Universum ist voll von starken Charakteren, seinen es nun weibliche Protagonisten, die hier tatsächlich gleichberechtigt agieren können, denn Zauberei erfordert zwar Grips, Talent und Willenskraft, aber keine Muskelstärke. Die Welt des HP ist unserer Welt fast zum Verwechseln ähnlich, denn außer der Zauberei geht es hier – wie in der realen Welt um Beziehungen von Menschen – großen, wie kleinen – untereinander. Mut, Loyalität, Ehrgeiz, Neid, Persönlichkeitsentwicklung, die Entwicklung in den späteren Potter Romanen, die erwachende Sexualität und das Wählen können aber auch müssen, die Entscheidungen, die zu treffen sind und ihre Folgen, all das sind reale Anforderungen, denen wir uns alle im Leben stellen müssen.

Thursdaynext hat dazu noch einen ganz eigenen Zugang: Zudem liebe ich in meiner Rolle als Mutter HP, weil er meinem Sohn ermöglichte, die Rollenspiele die ich als Kind mit  Indianerspielen verbracht habe, indem ich Winnetou nachspielte, mit seinen Kumpels, die natürlich auch alle Potterianer waren, zu ermöglichen. So bietet HP mehrere positive Identifikationsfiguren, und Anreiz die Kinder noch mit 12 /13 Jahren, selbst geschnitzten, später dann gekauften, Zauberstäben in die Natur trieb, um Potter Geschichten nachzuspielen. Ein Stück heile Kindheit mit relativ wenig Konsumzwang und variablen Möglichkeiten, fernab der aufgesetzten Coolness, die schon mit 12 Jahren von den Kids Besitz ergriff und sie zwang, irgendwelchen pseudocoolen Scheiß, den sie von der Industrie vorgesetzt bekommen, mitzumachen. Wir hatten hier drei Jungs, die unbeobachtet schlicht fremde Rollen annehmen, sich in jugendliche Helden verwandeln und die Welt retten konnten. Dabei in frischer Luft und Sonne zu sein. Hütten und Unterschlüpfe zu bauen und ein imaginäres Hogwarts im Garten zu erschaffen, hat meinen Sohn samt Kumpels bereichert und gestärkt.

Was Bri angeht – sie genießt es in vollen Zügen, ihren nun mehr 8-jährigen bald in das Harry Potter Universum einführen zu können – und ihm die Genialität dieses Universums nach dem ersten kindlichen Lesen, das ein reines Vergnügen sein sollte, aufdecken zu helfen. Denn prinzipiell geht es um nicht mehr als die Grundfesten eines aufrichtigen, wahren Lebens. Nicht um den Einzelnen, sondern um die Gemeinschaft und darum, dass wir zusammen alles schaffen können, wir müssen es nur wollen. J.K. Rowling lässt den klugen Albus Dumbledore etwas sagen, was er nur sagen kann, weil er selbst um die Fallstricke des Lebens weiß (schon Buddha wußte, es gibt keinen Heiligen ohne Vergangenheit): Es sind nicht unsere Fähigkeiten, die uns ausmachen, es sind unsere Entscheidungen. Und daraus gibt es keine Fluchtmöglichkeit, denn auf allem was wir tun, steht unser Name drauf.

Das nun vorliegende – bereits sehr erfolgreich aufgeführte Theaterstück, das auch auf Tournee gehen wird – bietet nun etwas ganz besonderes für Menschen, die sich darauf einlassen können. Neue Blickwinkel werden geschaffen. Ausgesprochen clever von J. K. Rowling ist der Perspektivwechsel, den sie den großen und kleinen Potterfans hier ermöglicht. Identifizierten sich zuvor alle Leser mit den Jugendlichen, erzählt sie in The Cursed Child nun sowohl aus Sicht des erwachsenen Harry, wie auch aus Sicht der beiden 14-jährigen Freunde Albus und Scorpius. Thursdaynext erscheint ihr eigener 14-jähriger Sohn, seit er das Stück innerhalb von zwei Tagen und Nächten verschlungen hat, seinen Eltern gegenüber „gnädiger“ gestimmt und mit mehr Verständnis für dieselben.

Des Profits wegen schreibt Mrs. Rowling sicher nicht, sie tut es aus Vergnügen und – womöglich – für die unzähligen Harry Potter Fans auf der Welt. Ihnen schenkte sie ein sensibles Lehrstück für Familien, hier speziell Jugendliche und ihre Eltern, mit magischer Rahmenhandlung, die spannend und straight ist. Humor gibt es auch, was will man mehr als Fan. Man merkt dem Theaterstück dieses Vergnügen an. Interessant sind die „Regieanweisungen“ betreffs Mimik und Gestik und Tonfall der Schauspieler. Äußerst vergnüglich und wieder einmal sehr weitsichtig wird die Konsequenz unserer Handlungen aufgezeigt – hätte das eine nicht geklappt, was hätte es für die personnelen Konstellationen bedeutet. Wie bereits gesagt, ein Spiel mit den Möglichkeiten, das auch früher nicht so sympathisch erscheinende Figuren menschlicher macht.

All das, was in den vorherigen Potterbüchern so großartig war, ist auch hier vorhanden. Shakespearsche Dramen, tiefe Gefühle, Humor, Spannung, Magie und Rowlings wirklich bemerkenswerter Blick für ihre Charaktere, deren Entwicklung, Eigenschaften und Antrieb. Sehr schön ist dies auch an Draco Malfoy zu erkennen. Wir fingen an, ihn wirklich zu mögen!

Wie bereits in den anderen Büchern geht es um Liebe und Freundschaft. Den existentiellsten positiven Gefühle, die uns Menschen ausmachen. Ein wunderbarer Abschluss.

(hier ist nun der Platz für die Abschiedsträne, die Vase ist voll 😉 )

Ein Tipp vielleicht noch zum Schluss: Die deutsche Ausgabe ist mit Hochdruck übersetzt worden, aber Fehler wie Toffee (im engl. Original) mit Kaffee zu übersetzen … vor allem wenn Ron, der doch für seinen süßen Zahn bekannt ist, diese Worte ausspricht, dürfen einfach nicht passieren. Die englische Ausgabe lässt sich gut und leicht lesen, vielleicht ein weiterer Grund, sich für diese zu entscheiden.

Buchdetails:

  • Aktuelle Ausgabe : 24. September 2016
  • Verlag : Carlsen Verlag
  • ISBN: 978-3-551-55900-5
  • Gebunden: 300 Seiten
  • Lesealter ab 14 Jahren

12 Gedanken zu “Was wäre wenn …

  1. Ja, denke ich auch – das ist so wichtig, das Geschichten erzählen, erzählt bekommen und dann noch tiefer einsteigen mit dem eigenen Lesen. Vom Hobbit gibt es übrigens ein schönes Hörspiel, wirklich als Hörspiel gemacht, aber mein Sohn hat es auch erst dieses Jahr zusammen mit uns gehört, danach ganz oft auch in Teilen alleine und er hat jetzt in der dritten Klasse den Hobbit als Buchvorstellung gewählt. Vorgelesen hat ihn mein Mann, sie haben viel darüber gesprochen, das ist glaube ich das Wichtigste. Harry ist einfach klasse … bei mir haben sich mit der Zeit die Lieblingsfiguren geändert und es wurden immer mehr ,))) LG, Bri

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  2. Ich glaube schon, dass er die Geschichten später selber liest. Er liest eigentlich sehr gerne, obwohl es für ihn noch „Arbeit“ ist. Aber es macht auch Spaß, die Geschichten zu erzählen. Mit dem „Hobbit“ habe ich das schon gemacht, nachdem er ganz fasziniert vor dem Kino (oder DVD)-Plakat stand und fragte: Kannst Du mir die Geschichte erzählen? Wir haben einen langen Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln, da ist das sehr kurzweilig. Manchmal denken wir uns auch neue Geschichten aus, aber ich muss gestehen, meine kreativen Vorräte sind schnell aufgebraucht. Da kommt mir „Harry Potter“ mal ganz recht 🙂

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  3. Du musst es ihn selber lesen lassen – später. Mein Sohn ist 8 und die ersten beiden Bände haben wir vorgelesen, danach war erst mal Schluss. Ja es gibt 10jährige in der Schule, die haben alle Bücher gelesen und Filme gesehen – das ist zu früh. Es steckt so viel an Botschaft in diesem Epos, das kann man in dem Alter gar nicht begreifen. Beneide Dich darum, das alles zum ersten Mal zu erleben 😉 LG

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  4. Ich muss zugeben, dass mich der damalige Hype eher kalt gelassen hat (ich bin nicht so der Hype-Typ). Die Filme fand ich allerdings gut. Jetzt, wo mein kleiner Entdecker 6 ist und in der Schule von Freunden mit älteren Geschwistern von Harry Potter gehört hat, beginne ich auch die Bücher zu lesen und anschließend als Geschichte zu erzählen. Das macht irre Spaß 🙂

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  5. Ja, das haben wir wohl nicht ganz korrekt ausgedrückt. Die Geschichte ist von ihr – also die Grundidee. Da sie keine Bühnenautorin ist und wir die beiden Theaterstückautoren genannt haben, haben wir nicht ganz darauf geachtet, das explizit so aufzuzeigen. Genau zwei verschiedene Welten – und die darf jeder mögen oder nicht 😉

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  6. Ich habe drei Kinder mit Harry Potter aufwachsen und am Rande begleiten dürfen. Es ist wirklich unglaublich, welche Faszination und Begeisterung diese Bücher auslösen können. Meine älteste Tochter hat nun auch dieses Theaterstück gelesen und fand es ganz bezaubernd. Für nächstes Jahr ist die Aufführung in London von ihr schon reserviert. Über zehn Jahre Leseglück und unser Jüngster hat mit elf alle sieben Bände so zwischen 2-5x durch. Ich ziehe den Hut vor Frau Rowling. Schöne Doppelbesprechung von euch Beiden!

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  7. J.K. Rowling hat dieses Stück aber nicht geschrieben… nur ihren Segen gegeben 😉

    Zudem muss man sich wirklich darauf einlassen und es weit weg von den Potter-Büchern einordnen. Aber das sind auch zwei verschiedene Welten. Für mich ist dieses Buch jedoch kein Must-Read.

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  8. Manchne Besprechungen nach zu urteilen hätten viele wohl auch gut darauf verzichten können. Stimme dir aber zu, es ist eine Bereicherung, wenn man sich einlassen kann und fähig ist den durch die Form freigewordenen Raum zu füllen.

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  9. Ein sehr schöner Text über ein schönes Buch – vielen Dank. Ich finde schon allein die Gattung großartig: Jetzt werden endlich Leute ein Theaterstück lesen, eine Erfahrung, die sie sonst wohl niemals gemacht hätten.

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