Was war nur wieder alles los vor der Buchmesse 2016 – Bob Dylan bekommt den Literaturnobelpreis verliehen und ist nicht erreichbar, der Hinweis des Preisgewinns auf Dylans Webseite war nur kurz aktiv und dann wieder verschwunden. Nimmt er den größten Preis, den es in der Literatur zu gewinnen gibt, einfach nicht an? Vielleicht haben ihn – wie andere auch – einfach die Diskussionen darum, was Literatur ist, ob Songtexte in die Gattung Poesie / Lyrik eingeordnet und dafür Preise errungen werden können, ermüdet oder er will nichts mit dem sogenannten Establishment zu tun haben. Aber ich bin mir sicher: Wir werden irgendwann erfahren, wie sich die Chose löst.
Außerdem gab es in gewissen Kreisen eine lebhafte Diskussion, darüber, wie man neue Talente am Autorenhimmel finden kann beziehungsweise sollte. Tobias Nazemi, „Betreiber“ des geschätzten Blogs Buchrevier hatte dazu eine Idee, den Mut und die Energie, 15 weitere Blogger, eine illustre Jury und einen namhaften Verlag von dieser zu überzeugen. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet und die Idee findet regen Zuspruch.
Was während der Buchmesse so alles passiert ist, kann man hier sehr unterhaltsam präsentiert nachlesen – auch über das Gastland Niederlande & Flandern der nun schon wieder vergangenen Messe. Und die Literatur des Gastlandes hat es in sich. Ich habe sie erst kürzlich für mich entdeckt, wobei ich dabei feststellen musste, wie viele großartige Literaten dieses kleine Land doch zu bieten hat. Viele namhafte Autoren kenne ich, habe sie aber nie so wirklich mit den Niederlanden oder Flandern in Verbindung gebracht. Neu allerdings ist dabei der Name Hendrik Groen.
Bevor Hendrik Groens geheimes Tagebuch mit dem Titel Eierlikörtage in Buchform erschien, wurden die ersten Einträge auf der Internetseite des Torpedo Magazins veröffentlicht. Die Leser waren so begeistert, dass sich Hendrik – Groen – Fanclubs bildeten und im Nachgang auch wir in Deutschland sein Buch, über das er sagt: »Kein Satz ist eine Lüge , aber nicht jedes Wort ist wahr.« lesen dürfen.
Hendrik Groen ist 83 ¼ Jahre alt, also wirklich alt, lebt in einem Altenheim – bei uns euphemistisch Seniorenresidenz genannt – und kann sich noch weitestgehend gut alleine versorgen. Er ist eben alt aber noch lange nicht tot und so würde er sich auch mal über ein Essen freuen, das nicht die übliche, breiige Konsistenz aufweist. So geht es ihm nicht alleine und er findet recht schnell Mitverschwörer, die mit ihm zusammen den Club Al(t)a(ber)ni(cht)to(t) gründen. Ziel des Clubs: Mehr Lebensfreude, weniger Griesgrämigkeit. Jedes der Mitglieder soll turnusmäßig einen Ausflug, eine Aktion, irgendetwas organisieren, um den grauen Alltag bunter zu gestalten. Schon kurz nach Gründung von Alanito trudeln weitere Aufnahmeanträge ein. Es gibt also noch mehr Menschen, die ihre verbleibende Lebenszeit nicht in Trübsinn verbringen möchten. Doch eine Erweiterung des Clubs ist zunächst nicht gewünscht, fühlen sich die Mitglieder doch wohl wie es ist und würde eine Erweiterung logistische Anforderungen stellen, die kaum mehr zu handhaben wären. So dürfen die Leser die mehr oder weniger fitten Alanito-Mitglieder bei ihren Unternehmungen begleiten. Doch nach und nach wird es für Einzelne schwieriger, teilzuhaben …
Ob Hendrik Groen tatsächlich heißt, wie er heißt, ob er so alt ist, wie er sagt und ob er in einem Altenheim lebt und das vorliegende Buch Eierlikörtage tatsächlich sein geheimes Tagebuch darstellt, war mir bei der Lektüre herzlich egal. Unterhaltsam hat er den nicht per se glücklichen Alltag eines Amsterdamer Altenheims beschrieben. Die Zustände, die dort herrschen sind denen in deutschen Altenheimen sicherlich nicht unähnlich. Was mich tatsächlich ins Grübeln gebracht hat, ist die Tatsache, wie wir mit den alten Menschen umgehen. Ähnlich Kindern werden sie mehr oder weniger entmündig – und das ohne Not. Sie, die uns so vieles beigebracht haben. Klar, sie können körperlich häufig nicht mehr so, wie sie geistig wollen würden – doch muss man ihnen deshalb wirklich alles abnehmen, muss man ihnen jede noch so kleine Freude vermiesen?
Groen nimmt aber nicht nur auf das Leben im Heim selbst Bezug – er verweist durchaus auf gesellschaftliche, soziale Phanömene. Ereignisse, Personen und Orte sind natürlich niederländisch geprägt und so sind die entsprechenden Verweise von deutschen Lesern vielleicht nicht immer gleich nachzuvollziehen, doch tut das der Lektüre im allgemeinem keinen Abbruch. Ein humorvolles Buch mit Tiefgang. Es lebe die Freundschaft und der Club Alanito!
Mit Frankreich als Gastland der Buchmesse 2017 ist ein würdiger Nachfolger für die Niederlande & Flandern hinsichtlich ihrer Buchschätze gefunden da bin ich mir sicher. Ich habe auf jeden Fall schon jetzt ein neues Autoren-Herkunfts-Lieblingsland.
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe : 01. August 2016
- Verlag : Piper
- ISBN: 978-3-492-05808-7
- Gebunden: 416 Seiten
naja, die poetische Ader ist eher in Ventoux und bei Die Eismacher zu finden. Hier nicht so sehr. Das kommt vielleicht nicht ganz so raus 😉
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Du meinst, mir gefällt eine poetische Ader nicht :-)?
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Hat gar nichts mit dem Hunderjährigen zu tun. Ist wirklich sozial – kritisch aber halt humorvoll. Ob es Dir gefallen würde, weiß ich ehrlich gesagt nicht so recht. Die Niderländer haben so eine gewisse poetische Ader – die kommt jetzt hier nicht ganz so raus … aber es ist durchaus lesenswert.
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Ich habe mich mit dem Buch ehrlich gesagt vor Deiner Rezension überhaupt nicht richtig beschäftigt, weil ich glaubte, es sei so in der Art vom Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg – das Cover hat mich wohl auf die Idee gebracht. Aber es scheint ja doch was zu sein! Und ja, die Niederlande haben literarisch viel zu bieten – vielleicht macht sich da aber auch bemerkbar, dass wir zwar ganz unterschiedliche Nachbarn sind, aber doch auch viel Geschichte teilen…
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