Kriegskinder

Pressebild_ProvokateureDiogenes-Verlag_72dpi[1]Wieder einmal gibt es einen Mord in Saint-Denis aufzuklären. Ein Fremder wurde zunächst gefoltert und dann ermordet. Kurz darauf bekommt Bruno eine Nachricht von einem Freund aus Militärtagen. Ein junger autistischer Franzose hat sich bis zu einer französischen Militärbasis in Afghanistan durchgeschlagen und möchte nach Hause. Erst jetzt erfährt Bruno von seinem Freund Momu, dem Mathematiklehrer aus Saint-Denis, dass dessen Neffe, den er in einer Moscheeschule wähnte, die sich angeblich auf autistische Kinder versteht, dort schon lange verschwunden ist. Der Tote entpuppt sich als Undercoveragent, der aufgetauchte Junge als vermisster Neffe und beide scheinen in Beziehung zueinander zu stehen. Noch dazu treiben sich offensichtlich fundamentalistische Muslime in Brunos Revier herum, die nichts Gutes im Sinn haben.

Holter-die-polter fällt Martin Walker im 7. Bruno-Krimi mit der Tür ins Haus. Viel Personal – bekanntes und unbekanntes – und eine Aktion nach der anderen machten mir den Einstieg in die verschachtelte und verzweigte Geschichte um Kriegskinder (der Originaltitel Children of war trifft den Kern meiner Meinung nach besser, als Provokateure, wofür man sich im Deutschen entschieden hat) aus vergangener und heutiger Zeit nicht gerade leicht. Doch ein holpriger Anfang macht noch lange kein schlechtes Buch. Konzentriertes Lesen ist hier gefragt, um die mannigfaltigen Kenntnisse Walkers um die politischen Ereignisse der Vergangenheit und die draus folgenden Ereignisse, die er für Frankreich quasi voraussah, vollends aufnehmen zu können. Denn nicht nur von Kindern, die – von der Gesellschaft ansonsten am Rande stehen gelassen – mit welchen Versprechungen oder Mitteln auch immer angeworben werden, um Anschläge in Europa oder dem Nahen Osten zu verüben, ist hier die Rede.

Nachdem Bruno die Heimreise des vermissten autistischen Jungen geregelt und ihn mitsamt seiner Familie zunächst aus der Schusslinie gebracht hat, muss er für seinen Bürgermeister tätig werden. Die Gemeinde soll viel Geld erben, wenn es ihr gelingt, die Geschichte von einer paar jüdischen Kindern zu veranschaulichen, die dank einiger helfender Hände die Besatzung der Deutschen überlebten. Versteckt hielten sie sich in Saint – Denis und Umgebung. So gut, dass heute niemand mehr davon weiß. Da Bruno gut vernetzt und äußerst beliebt ist, schafft er es mühelos, ein Projekt für Schulkinder draus zu machen, die sich der Sache unter der Regie ihrer Lehrerin Fabiola mit Eifer und sehr erfolgreich annehmen.

Neben dem üblichen Lokalkolorit, das die Walker-Krimis immer wieder zu einer erquicklichen und erholsamen Lektüre macht, zeigt sich in diesem Band der Reihe eine auffallende Aktualität und politische Weitsicht. Häufig wird dem Roman angekreidet, er sei kein Krimi, da man nach kurzer Zeit schon den oder die Mörder kenne. Doch sind wir mal ehrlich, das kommt in den besten Krimis vor. Dass Walker Kriminalromane um den wie immer souveränen Bruno keine ausgesprochenen Thriller sind und das es hier meist um viel mehr, also um Hintergründe und Verflechtungen geht, weiß jeder, der die Vorgängerbände gelesen hat. Und genau das macht wohl auch den Charme der Reihe aus – das fiktive Örtchen Saint – Denis im wunderschönen Périgord ist für viele Leser so etwas wie ein reeller Ort geworden, an den man immer wieder gerne zurückkehrt. Eben, weil es Verlässlichkeit dort gibt. Einige Kritiker rufen zu viel gewollt, Resteverwertung und ähnliches – ich meine: klug miteinander verknüpft und logisch zu Ende gedacht. Einige Geheimnisse, die schon länger im Raume schweben, werden gelüftet und vielleicht kommt ein wenig Resteverwertung vor, doch wenn sie sich so gut wegliest, wie in diesem Fall, dann wird Kritik zum Jammern auf hohem Niveau.

Aber Vielfalt ist gut, nicht jeder muss alles mögen, und so kann ich nur wieder einmal mehr sagen: Lest selbst, wenn ihr mögt und habt Spaß dabei – ich hatte ihn und zwar sehr.

Buchdetails:

  • Aktuelle Ausgabe : 29.April 2015
  • Verlag : Diogenes
  • ISBN: 978-3-257-06928-0
  • Gebunden: 384 Seiten

 

2 Gedanken zu “Kriegskinder

  1. Naja, ich mag Bruno sehr gerne – die Frauengeschichten gehen mir selbst etwas auf den Geist … aber das ist für mich nicht der Schwerpunkt. Er kocht nach wie vor, es gibt Action, aber kennt die Gemeinde jetzt so langsam als Leser, auch die Bewohner … Was ich besonders an Bruno mag ist sein Sinn für Gerechtigkeit und die Findigkeit, wie er dieser manchmal nicht ganz Gerichtskonform doch auf die Sprünge hilft. Ich finde, er ist nicht mehr ganz so glatt, wie am Anfang 😉 Aber ich hätte einen heißen Krimi-Tipp für Dich: guck mal hier: https://feinerbuchstoff.wordpress.com/2015/10/15/frag-die-alten/
    Der könnte Dir gefallen! LG, Bri

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  2. Danke für den Hinweis – ich hatte die ersten Bruno-Bücher mit Begeisterung gelesen, dann aber aus den Augen verloren: Denn Bruno ging mir mit seinen Frauengeschichten, mit seinem Superman-Gehabe, der nicht nur perfekt kochen kann, sondern seinen Tag mit gärtnern, Hund, Pferd, Freundinnen, Job, Football-Trainer et cetera weit über die möglichen 24 Stunden ausfüllt, dann doch mehr und mehr auf die Nerven. Aber Deine Rezension machte wieder Lust auf Saint-Denis – wird da Bruno auch so perfekt gezeichnet?
    Liebe Grüße

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