Das Böse kommt auf leisen Sohlen

BösesohlenEs gibt Bücher, die begleiten einen das ganze Leben. Die will man jedem lieben Menschen schenken, bis man selbst das Buch nicht mehr hat und es einem erst wieder einfällt, wenn man gefragt wird, was denn die besten Bücher seien, die man je gelesen hat. Und natürlich müssen solche Bücher auch immer wieder gelesen werden. Schaffen sie es, mit den Jahrzehnten des eigenen Lebens mitzuwachsen, als Lieblingsbücher im eigenen Herzen zu verweilen?

Ray Bradbury ist ein Autor den ich immer wieder lesen kann und Das Böse kommt auf leisen Sohlen eines der Bücher, die ganz oben auf dem Stapel sind, Bücher für die einsame Insel.

Es ist Oktober und ist Oktober nicht die schönste Zeit für Jungen? Die Schule hat ihre Zügel schon wieder schleifen lassen und die Natur lädt zum Herumstreunen ein. William ‚Bill‘ Halloway und James ‚Jim‘ Nightshade, nur 5 Minuten bei ihrer Geburt getrennt und doch an verschiedenen Tagen geboren, spüren, dass der vierzehnte Geburtstag die Finger nach ihnen ausstreckt. Beide wohnen Haus an Haus, sind aber trotz ihrer Nähe sehr unterschiedlich. Jim ist der, der vorne weg läuft und keine Angst kennt. Will ist dahinter und denkt mehr, als dass er handelt.

„Bei Jim war es so, dass er stets die Welt vor Augen hatte und nie den Blick abwenden konnte. Wenn man sein ganzes Leben lang niemals wegsieht, dann hat man mit dreizehn schon soviel gesehen wie andere mit zwanzig. Will Halloway war jung und blickte immer darüber hinweg oder daran vorbei. Er hatte mit dreizehn erst sechs Jahre Schauen hinter sich gebracht.“

Mitte Oktober kommt ein Zirkus in die Stadt. In der Nacht kommt er und die Jungen werden von dem Pfiff der Lokomotive geweckt. Sie sehen, wie sich Schatten daran machen, das Zirkuszelt aufzubauen. Tagsüber sieht alles ganz normal aus, doch etwas spüren die beiden, etwas Böses ist mit dem Zirkus in die Stadt gekommen.

Ein Jucken spür‘ ich, ganz verstohlen,
Das Böse kommt auf leisen Sohlen (Shakespeare)

Da sind die beiden Zirkusdirektoren G. M. Dark und J. C. Cooger, die genau wissen, was sich die Jungen wünschen. Einmal älter sein. Vielleicht zwanzig oder gar einundzwanzig, groß mit Muskeln, die Welt steht einem offen. Dafür haben sie ein Karussell, das diese Wünsche ermöglicht. Eine Runde ist ein Jahr. Und es kann auch rückwärts fahren! Was würde sich Bills Vater – ein zurückgezogener Bibliothekar Anfang fünzig – nicht wünschen seine alten Knochen gegen junge einzutauschen, die Verheißung ewiger Jugend. Doch diese heimlichen bösen Wünsche werden nicht umsonst erfüllt, nichts anderes als die Seele ist der Preis. Gut zu sein ist gar nicht so einfach.

„Andererseits sieht man manchmal Menschen vorbeigehen, unglücklich, bleich, niedergeschlagen – das sind zuweilen die wirklich guten Menschen. Will. Gut sein ist nämlich furchtbar schwierig. Die Menschen strengen sich an und zerbrechen dabei oft.“

Doch wäre es nicht schön, wieder so jung und frei zu sein wie früher, die Leichtigkeit zu spüren, herumzutollen.

„Der Rest des Weges ging glatt, wunderbar, leicht, herrlich. Sie schwangen sich über das Fensterbrett und blieben dort eine Weile sitzen, gleich groß, gleich schwer, getönt von denselben Sternen. Sie umarmten sich mit dem Gefühl herrlicher Erschöpfung, lachten leise miteinander preßten einander die Hand auf den Mund, aus Angst, jemanden zu wecken – Gott, das Land, die Frau, die Mutter, die Hölle. Sie spürten die warem Quelle der Heiterkeit dort, blieben noch einen Augenblick so sitzen, die Augen hell und feucht vor Liebe.“

Die Kreaturen des Zirkus spüren die Wünsche der Kinder und machen sich auf die Suche nach den Jungs. Mit Hilfe der Staubhexe haben sie einen starken Mitkämpfer. Mit ihrem Ballon schwebt sie über der kleinen amerikanischen Stadt und erspürt die Jungen, deren Wünsche sie anziehen wie ein Magnet. Doch auch diese spüren den Ballon der Hexe.

„Nein, ganz stimmte das auch nicht. Aus sich selbst heraus macht er ein Geräusch, er seufzt wie der Wind, der deine Gardinen bläht weiß wie der Atem des Schaums. Oder er macht ein Geräusch wie die Sterne, die sich in deinem Traum drehen. Vielleicht kündigt er sich auch an wie Mondaufgang und Monduntergang. Ja das ist am besten: Wie der Mond über die Tiefen des Alls segelt, so treibt ein Ballon dahin.“

Bradbury kennt man als Autor von Fahrenheit 451 oder den Mars-Chroniken, mit Das Böse kommt auf leisen Sohlen hat er für mich aber ein Alltime-favourite geschrieben. Seine poetische und lyrische Art vermischt sich mit dem Bösen, Mythischen des Zirkus und seiner Gestalten und treibt mir subtil feine Gänsehaut auf die Arme. Das Buch ist voller Symbolik, Allegorien und beinhaltet so viele magische Momente, die auch 40 Jahren, nachdem ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe, nicht verblasst sind.

Ein einzigartiger Autor mit einem brillanten, einmaligen Buch welches Generationen von Autoren nach ihm, wie z.B. Stephen King, beeinflusst hat.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe :  Oktober 2013
  • Verlag : Diogenes
  • ISBN: 978-3-257-20866-5
  • Taschenbuch: 272 Seiten

2 Gedanken zu “Das Böse kommt auf leisen Sohlen

  1. King ist sicherlich stark von Bradbury beeinflusst worden und nicht nur King. Sicherlich muss man die Klassiker lesen um die Verbindungen zu zeitgenössische Werken herstellen zu können. Davon abgesehen ist Das Böse… ein herrliches Buch was noch keine Patina angesetzt hat.

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