Alhamdulillah – Wofür kommt man in die Hölle ? – Young Muslims on Punk

taqwacore_300dpiDie Sicht der Dinge von rallus:

Taqwa-core von Taqwa: die Gotteserfurcht, Demut und Core: Kern abgeleitet aus Hard-core, explizite Darstelllung von Pornografie, bzw. Musikrichtung Hardcore = Punk Auch zu übersetzen als der Kern der Gottesfurcht und danach suchen alle Bewohner einer Punk-Wg voller Muslime in Buffalo. In dieser WG ist die Quibla (Gebetsrichtung nach Mekka) mit einem Loch von einem Baseballschläger in einer Wand gekennzeichnet. Und jeder Bewohner hat andere Ansichten von Muslim sein.

Yusef der Ich-Erzähler sucht noch nach seinem Weg und wirkt quasi als der „Über-Ich-Erzähler“ der sich in Diskussionen mit anderen reibt und den wahren Weg zum Islam finden will. Der eine tätowiert 2:219 (eine Sure) über seinen Hals, der andere KERBELA über seinen meist nackten Oberkörper, der nächste kifft auf dem Dach oder es wird mit der E-Gitarre zum Gebet gerufen. Sie alle vereint, dass sie friedlich zusammen wohnen und sich nicht den Kopf abreissen, so bringt es eine konvertierte Muslima auf den Punkt:

„Ich persönlich bin kein großer Fan von diesem ganzen Ansatz, der behauptet: ‚Islam ist der einzige Weg und so war es schon immer und muss es immer bleiben, und jede Abweichung von der Norm bringt Dich der Hölle näher‘. Ich glaube, die Religion gehört uns selbst und wir können damit machen was wir wollen. Die Imame sind nicht Gott und die Alime auch nicht, und auch der Prophet Mohammed ist nicht Gott – und das hat mich am Islam immer am meisten angesprochen, die Tatsache, dass nichts zwischen uns und Gott steht, so wie im Christentum.“

Die einzigen die zwischen dem Menschen und Gott stehen, ist der Mensch selber und sein ewiger Versuch, Gott zu verstehen und zu deuten. Gerade im Islam ist die Deutungswut sehr groß doch birgt dies eben auch viele Chancen.

Als Extrem wohnt auch eine muslimische Frau in der WG, die Yusef aber nur als Kleidungsstück kennt, bekleidet mit der alles bedeckenden Burka. Dass trotzdem der Geist von ihr nicht bedeckt ist, zeigen die teilweise radikalen Ansichten von ihr. Ihr Weg zu Gott ist aber, dieses Kleidungsstück NICHT abzulegen.

Die Diskussion darüber, was halal(erlaubt), haram(verboten) oder nur makruh(verpönte Handlung) ist, entbrennt des Öfteren und entzündet auch mal in der Welt, größere Kriege. Taqwacore ist auch eine Punkrichtung, eine Szene voller Bands die Islam und Punk verbinden möchten. Die PunkWG wird zu dem Zentrum dieser eingeladenen Bands, ein Punk-Happening, bei der auch Hardliner eingeladen werden.

„Aber bei Taqwacore geht es doch gerade darum, dass der Islam jede Form annehmen kann, die Du willst. Wenn wir eine Band ausschliessen, weil wir ihre Haltung oder ihre Aussagen nicht mögen, dann sind wir auch nicht besser als die ganzen konformistischen, engstirnigen Imame überall da draußen.“

So kommen diese Bands, ein Punkfestival beginnt, dass seinem Namen alle Ehre macht.

Ein in seiner Sprache deutliches, wichtiges, erforderliches Buch um den Islam und seine Nickligkeiten ansatzweise verstehen zu lernen, mit absolut den schrägsten Gestalten die je ein Buch bevölkert haben. Mit einem Glossar der wichtigsten Wörter.

„Das wär’s also. Als Muslime habe ich versagt. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich immer noch ein menschliches Wesen bin.“

Inschallah!

 

Die Sicht der Dinge von Thursdaynext:

Identität.

Was macht uns aus? Für uns westlich orientierte Menschen keine besonders drängende Frage. Wir sind vom christlichen Weltbild geprägt, dank der Aufklärung frei in unseren Ansichten. Religion ist bei vielen von uns nur noch Staffage, esoterisch/spirituell angehaucht, mehr oder minder praktitiziert und gelebt, oder nichtexistent. Nur sehr vereinzelt werden wir aus der dem nahen und entfernteren Umfeld ausgestossen wenn wir nicht glauben.

Bei im Westen lebenden Muslimen, ist die Identität stark mit dem Glauben verbunden.

Die Zugehörigkeit, das soziokulturelle Umfeld, die Herkunftsfamilie, Tradition haben einen wesentlich größeren Stellenwert. Die persönliche Freiheit des Individuums ordnet sich dem Glauben unter. Schwer zu vereinbaren für junge Muslime, die die Freiheiten der westlichen Spaßgesellschaft sehen und auch ihre Schattenseiten, die die Sicherheit und den Halt schätzen die ihre Religion ihnen gibt, aber auch den Muff, die Enge, den Fanatismus und das Überholte (z. B. in der Scharia) daran. Wie vereinbart man das miteinander?

In Taqwacore ( ein Mixwort aus Frömmigkeit – Hardcore ) versuchen sie es. Neues aus Altem zu kreieren, die Mischung die glücklich macht. Die gottgefällig, individuell massgeschneidert und menschenfreundlich ist. Alles außer Allah ist auf dem Prüfstand, wobei die Prüfparameter je nach Charakter unterschiedlich sind, die Musik sich aber wohlgefällig Kopfkinoverstärkend durchs gesamte Buch zieht.

Daheim ausgezogen um Ingenieurswissenschaften zu studieren ist Yusef in einer muslimischen Punk WG untergekommen. Er genießt seine Freiheit, während seine Eltern froh sind, dass ihr Sohn nur unter Muslimen haust, statt im Studentenwohnheim den Anfechtungen und dem westlichen Sittenverfall ausgeliefert zu sein.

Yusef ist ein Suchender. Er ergründet den Punk genauso wie er versucht den Islam zu ergründen.

„ ….doch die wichtigste Gemeinsamkeit besteht darin, dass der Islam, so wie der Punk ein Banner ist, ein offenes Symbol, das keine Dinge repräsentiert, sondern Ideen. Man kann den punk oder den Islam nicht anfassen. Was könnten sie also anderes bedeuten als das, was man ihnen an Bedeutung zumisst?“

Er liebt die Gemeinsamkeit in den Unterschieden, das Zugehörigkeits- und Zusammengehörigkeitsgefühl und die Schönheit. Auch die, die im gewollt häßlichem Punksgewand mit Rebellionsattitude daherkommt. Immer steht er ein wenig aussen vor. Nicht eindeutig fest im Glauben. Weder im Glauben an den Punk, noch im Glauben an den Islam. Er observiert, wägt ab, hinterfragt. Doch er betet, säuft nicht und hat keinen Sex. Wenn Masturbation aussen vor ist. Wie bei allen religiösen Büchern ist die Auslegung hier Interpretationssache.

Wieviele Engel auf eine Nadelspitze passen, darum wurde schon bei den Christen gestritten. Der Koran lässt auch viel Spielraum für solche Fragen. Eines ist für Yusef jedoch klar. Er liebt die Taqwacore Bewegung. Die Vielfältigkeit, die Rebellion, das Lebendige, den Lebenstil, seine Mitbewohner und die Musik.

„Es geht doch nur darum keine Angst vor dem Tod zu haben. Und das haben wir geschafft, und es gibt viele Muslime die keine Angst vorm Sterben haben Maschallah – aber jetzt haben die Muslime Angst zu leben, verdammt!“

Mühselig erscheint mir dieses stark religiös beeinflusste Leben. Diese ganze Allahanrufungen, die Gebetszeiten die Richtung in die man betet, das 27 fache verstäken eines Gebets wenn man es mit jemand anderem betet. Die Bedeutungen der Wörter alle in Arabisch, nachzulesen im Glossar, machen diese Mühseligkeit noch präsenter, ist man anfangs immer am blättern, legt sich das jedoch mit der Zeit. Wurde hier gewollt auf direkte Übersetzung in Klamern, oder Fußnoten verzichtet ? Wie auch immer, es macht das muslimischpunkige WG Leben authentischer, ebenso Yusefs direkt berichtender Erzählstil.

Dabei ist der Bursche selbst ein ganz schöner Langweiler. Eher ein Mitläufer. Wirklich interessant sind die anderen WG Bewohner. Umar, der dogmatische Muslim, der Sex, Drogen und Alkohol so verzweifelt vehement verteufelt, als ob er sich permanent selbst von deren Schlechtigkeit überzeugen müsste. Rabeya die Burka tragende Feministin die Koransuren aus ihrem Exemplar auffgrund ihrer Frauenfeindlichkeit schwärzt und nichtet. Sich Sessel aus Büchern baut und Simone de Beauvoir verehrt.

Jehangir , der Strahlende, der von einem amerikanischen Islam träumt, „frei und formlos wie Wasser“, offen für alle, friedlich brüderlich, Amazing Ayub, die Punk Jungs von der albernen Kifferfraktion die das Zulöten als heilig empfindet, Muzzamil der schwule Punk der für sich in Anspruch nimmt dennoch Muslim zu sein. „Ich glaube nicht, dass ich einem Glauben anhängen könnte der meine Lebensweise verurteilt.“

Gerade Jehangir und Umar, der eine in seinem unbeirrbaren Glauben an das Gute und die Schönheit der Welt und Umar, der kompromisslose Dogmatiker, heizen die das Buch prägenden Diskussionen an, die den Reiz dieser fiktiven Autobiographie, die wohl stark von des Autors eigenen Erfahrungen und Erlebnissen geprägt wurde, ausmachen.

Aber auch Rabeya, die strikt verschleierte, die ihre Kinder nicht muslimisch erziehen würde, obwohl sie gläubig ist. Sieht sie doch die Schattenseiten. Hier wird auch klar weshalb Mädchen mancherorts möglichst dumm gehalten werden sollen. Ohne Bildung fehlt es an sprachlichen Möglichkeiten um dieses Unwohlsein konkret zu äußern und herauszukristallisieren und Widerstand zu leisten.

„Je mehr du akzeptierst, dass Männer an sich schwach sind, desto leichter ist es Mädchen zu hassen.Plötzlich sind alle deine schmutzgen Gedanken ihre Schuld, weil sie hätten wissen müssen, wie schwach du bist und das nicht hätten ausnutzen dürfen. Wenn du ein Sklave deiner Eier bist, kannst du alle Mädchen hassen. Mädchen die laut lachen, Mädchen die ihre Beine zeigen. Mädchen die tanzen und in Bars gehen. plötzlich hast du nichts mehr im Griff.“

Fazit:

Taqwacore ist ein intensives Leseerlebnis. Nicht ohne Grund wurde das Buch zensiert, boykottiert und konfisziert.

Noch dazu ist es umwerfend komisch und packend geschrieben. Öffnet einem die Augen, bringt einem das Dilemma der im Westen lebenden Muslime näher.

Mir persönlich hat es den Punk als Pseudoreligion besser verständlich gemacht. Ich finde ihn immer noch bescheuert (auch wenn es ein paar wirklich gute vitalitätssprühende Songs gibt), aber so geht es mir auch mit allen anderen Religionen. Und es ist immer gut zu wissen, weshalb man etwas schlecht findet. Man bleibt fähig Mitleid zu empfinden und erhöht die eigene Toleranz.

Daher absolute Leseempfehlung.

In Zeiten, in denen die Grundfesten der Freiheit zu Fall gebracht werden sollen, muss man Stellung beziehen.

Nous sommes Charlie!!!!

Thursdaynext und Rallus

 

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 16. März 2012
  • Verlag :  Rogner & Bernhard
  • ISBN: 978-3-95403-000-2
  • Gebunden: 306 Seiten

2 Gedanken zu “Alhamdulillah – Wofür kommt man in die Hölle ? – Young Muslims on Punk

  1. Da das Buch von Sicht eines der Bewohner geschrieben ist, hat es wohl eher einen ‚Punk‘ Charakter als einen literarischen. Aber gerade diese direkte und deutliche Sicht, die nichts verschleierte, hat mir gut gefallen. Es wurde sehr offen mit diesem Thema umgegangen, wofür der Autor ja auch einige (auch handgreifliche) Kritik einstecken musste. Für mich ein ‚Punk‘-literarisches Erlebnis über viele religiöse Tabuthemen.

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  2. Muslimische Punks! Ein faszinierendes Thema, leider hat mich die Umsetzung des Buchs aber enttäuscht. Es war mir sprachlich zu platt, zu wenig „literarisch“, deswegen habe ich es schnell aufgegeben. Möglicherweise hat sich das im Laufe des Buchs geändert, aber die ersten Kapitel kamen mir vor wie eine Aneinanderreihung von Figuren-Vorstellungen und Infodump in nicht besonders ausgereifter Sprache.

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