Das Leben lässt sich nicht kontrollieren

Drop - BargeldSeit zwei Jahrzehnten ist Bob nun schon Barkeeper in Cousin Marvins Bar. Cousin Marv ist tatsächlich Bobs Cousin, doch die Kneipe gehört seit einigen Jahren den Tschetschenen. Außerdem ist Cousin Marv’s eine von unzähligen Drop-Bars in Boston. Geld, viel Geld, erworben durch die kriminellen Machenschaften der Tschetschenen fließt hier aus der ganzen Stadt zusammen, nur um zu einem bestimmten Zeitpunkt des selben Abends wieder abgeholt zu werden. Wann genau, das wissen nur die, die bringen und abholen und das auch nur kurz zuvor. Ein ausgeklügeltes System, das die Polizei jeglicher Handhabe beraubt.

Am Jahrestag des Verschwindens von Richie „Glory Days“ Whelan passiert etwas, das Bobs Lebensweg eine Abzweigung nehmen lässt: In einer Mülltonne findet er einen fast zu Tode geprügelten Welpen und macht Bekanntschaft mit Nadia, einer offensichtlich erst neu zugezogenen jungen Frau.

“ … Sie hustete Rauch aus. „Wer steckt denn einen Hund in die Mülltonne?“
„Ich weiß“, sagte er. „Ich glaube, er blutet.“ Er ging einen Schritt auf die Veranda zu, und sie wich zurück.
„Wen kennen Sie den ich kennen könnte?“ Ein Mädchen aus der Stadt, das sein Misstrauen   gegenüber einem Fremden nicht einfach so ablegte.
„Ich weiß nicht“, sagte Bob. „Wie stehts mit Francie Hedges?“ Sie schüttelte den Kopf. „Kennen Sie die Sullivans?“
Das würde die Auswahl kaum eingrenzen. Nicht in dieser Gegend. Aus jedem Baum, den man schüttelte, fiel ein Sullivan. Meistens kam ein Sixpack hinterher. „Da kenne ich einige.“
 

Und weil Bob eigentlich einer der Guten und äußerst gläubig ist, lässt er den Welpen Rocco und damit so einiges anderes in sein Leben  …

Dennis Lehane ist dem deutschen Lesepublikum leider noch nicht ganz so bekannt, wie er es sein sollte. Er hat die Vorlagen für erfolgreiche Kinofilme wie „Mystic River“ oder „Shutter Island“ geliefert und einen Roman, der mich persönlich zu einem absoluten Lehane – Fan gemacht hat: In der Nacht.

Mit „The Drop – Bargeld“ legt er erneut einen Roman vor, der zwar eine klassische Filmvorlage abgibt – am 04. Dezember 2014 kommt der Film in die deutschen Kinos – schafft es aber gleichzeitig – und das trotz des großartigen Kopfkinos, das er beim Lesen anwirft – nicht den Eindruck zu erwecken, dass diese Geschichte auf eine Verfilmung hin geschrieben wurde.

Auf knappen 224 Seiten entwickelt er das Bild eines Mannes, der zwischen Gut und Böse steht, eigentlich ein Guter ist, aber für die Bösen, sprich die Mafia arbeitet. Sein korrektes Wesen prädestiniert ihn fatalerweise zum idealen Mitstreiter der Tschetschenen, obwohl seine gesamte Gesinnung dagegen steht. Er ist einer der Ehrlichen, die Unrecht – auch kirchliches – nicht durchgehen lassen wollen, auch wenn er sich damit Feinde macht:

„… Ein ganzes Leben in der Anonymität eines luftdicht versiegelten Kabuffs, und jetzt hatte jemand Kleinholz aus dem Kabuff gemacht und es über die gesamte Straße verteilt. …“

Über Jahrzehnte darauf bedacht, nicht aufzufallen, rückt er nun durch seine Überzeugung ins Rampenlicht. Und genau das ist es, was Lehanes Figuren ausmacht. Sie leben.

Lehane lässt seine Figuren keinen leichten Weg gehen. Nie gibt es nur Licht oder Schatten, sondern immer das pralle Paket des Lebens: Schuld und Sühne, Moral und Skrupellosigkeit, Verlust und Hoffnung. Vor allem aber Entscheidungen, die die Protagonisten zu treffen haben. Egal in welchem Milieu sie sich bewegen. Hier hat keiner eine absolut reine Weste, weder der Polizist, der im wahren Leben Versuchungen nicht vorbeiziehen lassen kann, noch der einstige Gang-Boss, der eigentlich nur seine Haut retten will. Und darum geht es doch auch im wahren Leben. Um die Wege, die wir einschlagen, die Realitäten, die wir erleben. Wie oft schon habe ich mir gedacht, was Bob klar anspricht:

„… Alle wollen dir was erzählen, irgendwas über sich selbst, und dann geht das immer weiter und weiter und weiter. Aber wenn es darum geht, dir zu zeigen, wer sie sind? Dann fehlt ihnen der Mumm. Dann haben sie`s nicht drauf. Und sie versuchen, es mit noch mehr Geschwafel zu verschleiern, versuchen, sich rauszureden aus etwas, wo man sich nicht rausreden kann. Und dann fangen sie an, Schwachsinn über andere zu labern. Verstehst du was ich meine? …“

Dennis Lehane hat es eindeutig drauf: Er zeigt uns das Personal seiner Geschichten in der ihm eigenen, äußerst bildhaften Sprache, die komplexe Darstellungen knapp zusammengefasst und trotzdem vollumfänglich vors innere Auge zaubert. Es gibt wenige Autoren, die in kurzen Sätzen so opulent und gleichzeitig auf den Punkt kommend schreiben können. Hinter dem Plot steckt ein klares, durchdachtes Konzept, das sicherlich Auslassungen oder Leerstellen enthält, diese sind aber noch nicht einmal als solche erkennbar. Keine nicht verknüpften Fäden, keine Wünsche, die die Lektüre offen lässt. Man steigt ein in die Geschichte, begleitet Bob auf seinem Weg in die persönliche Befreiung und verlässt ihn im rechten Moment wieder. Ohne Bedauern und ohne offene Fragen. Das ist wahre Unterhaltung auf höchstem Niveau.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: November 2014
  • Verlag: Diogenes Verlag
  • ISBN: 978-3-257-06915-0
  • Leinen, gebunden: 224 Seiten

6 Gedanken zu “Das Leben lässt sich nicht kontrollieren

  1. ja, das tun sie – wenndoch Chabon und Mitchell epischer erzählen 😉 Gleichwohl sehe ich sie, genau wie Du, auf einer qualitativen Stufe 😉

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  2. Lehanes Talent in wenigen Worten exakt auf den Punkt zu kommen , Kopfkino mit Atmosphäre auszustatten ist mir bei den meisten anderen Autoren bislang selten so eindrücklich begegnet. Ausnahmen wie Chabon und Mitchell bestätigen das 😉

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  3. Muss ich mir doch noch holen. Bisher jeden Lehane, den ich in die Finger bekam, verschlungen. Und seit der Verfilmung von Mystic River noch mehr in Sean Penn verguckt.

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